Digital, innovativ, gesund: Wie medizinischer Fortschritt gelingt
Herr Dr. Girgenrath, wachsende Datenschätze und moderne Analyseverfahren entwickeln eine enorme Schubkraft für den medizinischen Fortschritt. Nutzt Deutschland diese Chance?
Dr. Rainer Girgenrath: Aktuell liegen wir hinter anderen europäischen Ländern noch deutlich zurück, wie unter anderem das 2022 veröffentlichte Gutachten der „Expertenkommission Forschung und Innovation“ zeigte. Auch internationale Vergleichsstudien zählen Deutschland bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen eher zu den Schlusslichtern. Neben solchen Studien zeigte – für alle im Alltag erkennbar – die Corona-Pandemie enorme Defizite in Deutschland auf, etwa bei der digitalen Kommunikation im Gesundheitswesen.
Die Medizin der Zukunft braucht eine verbindliche Digitalisierungsstrategie, die alle Akteure des Gesundheitssystems – darunter Gesundheitswirtschaft, Pharmaindustrie, Krankenkassen, Leistungserbringer und Forschung – trotz unterschiedlicher Interessen auf ein gemeinsames Ziel fokussiert: das Potenzial der Digitalisierung für eine bessere medizinische Versorgung der Menschen zu nutzen.
Medizininformatik-Initiative vernetzt erstmals alle Universitätskliniken Deutschlands
Wie trägt der DLR Projektträger zur digitalen Transformation in der Medizin bei?
Girgenrath: Mit unserer Expertise gestalten wir Förderstrategien und -initiativen, die an vielen der oben genannten Defizite ansetzen und die heute wichtige – wenn nicht die wichtigsten – Motoren der Digitalisierung in der Gesundheitsforschung und -versorgung sind. Dazu zählt insbesondere die „Medizininformatik-Initiative“ (MII) des BMBF, die erstmals alle Universitätskliniken Deutschlands vernetzte. Von ihr geht eine enorme Schubkraft für die Digitalisierung von Gesundheitsforschung und -versorgung aus. Der DLR Projektträger hat die Entwicklung dieser Initiative strategisch maßgeblich mitgestaltet – von ihrem Start vor vier Jahren bis hin zur Konzeption der aktuell laufenden Ausbau- und Erweiterungsphase, die wir fachlich und administrativ intensiv begleiten.
Um die Chancen der Digitalisierung nutzen und das Potenzial von Datenschätzen heben zu können, müssen Forschende mit geringem administrativem Aufwand darauf zugreifen können. Dafür sorgt das von der MII aufgebaute und ebenfalls von uns fachlich und fördertechnisch begleitete „Forschungsdatenportal für Gesundheit“. Es gewährleistet effiziente Antrags- und Genehmigungsverfahren. Und es schafft Transparenz! Es informiert Bürgerinnen und Bürger über alle laufenden Projekte, die mit Patientendaten aus der MII forschen – und über die Erfolge, die dabei herauskommen. Digitale Innovationen sind – gerade, wenn es um unsere Gesundheit geht – nur dann erfolgreich, wenn sie das Leben spürbar verbessern und die Bürgerinnen und Bürger ihnen vertrauen. Dafür brauchen wir eine gute Kommunikation.
Durch das breite wissenschaftliche Portfolio und die Erfahrung seiner Mitarbeitenden verfügt der DLR Projektträger über einen einzigartigen Kompetenzpool, mit dem er die Digitalisierung und datenbasierte Forschung im Gesundheitsbereich effizient und erfolgreich vorantreibt.
Digitale Lösungen von Künstlicher Intelligenz bis zur therapiebegleitenden App
Ist das alles Zukunftsmusik, oder profitieren Patientinnen und Patienten schon heute ganz konkret von der Digitalisierung?
Girgenrath: Flächendeckend ist das noch nicht der Fall – sonst würde Deutschland in den internationalen Vergleichsstudien ja besser abschneiden. Doch hier tut sich viel. Heute profitieren bereits zahlreiche Patientinnen und Patienten an den Unikliniken von den Innovationen der Medizininformatik-Initiative. Beispielsweise können digitale Frühwarnsysteme auf Intensivstationen die Vorboten eines akuten Lungenversagens erkennen. Im Notfall alarmieren sie die Behandelnden per Handy. So kann das medizinische Personal schneller eingreifen – und Leben retten.
Es ist uns besonders wichtig, dass die Erfolge der vom DLR Projektträger begleiteten Projekte möglichst schnell bei möglichst vielen Menschen ankommen. Die Fortschritte der Universitätsmedizin – zunächst in Pilotprojekten – in viele Bereiche des Gesundheitssystems einfließen zu lassen, ist die Aufgabe der 2021 gestarteten „Digitalen FortschrittsHubs Gesundheit“. Auch diese BMBF-Maßnahme haben unsere wissenschaftlichen Mitarbeitenden mitgestaltet und begleiten ihre Umsetzung. Digitale Lösungen – von Künstlicher Intelligenz bis zur therapiebegleitenden App – verzahnen dabei die regionale Versorgung eng mit der Expertise sowie den spezialisierten Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten der Universitätsmedizin.
DLR Projektträger erkennt Synergien und fördert produktive Kooperation
Viele Initiativen treiben die Digitalisierung der Medizin engagiert voran. Welche Rolle spielt der DLR Projektträger dabei, Kräfte zu bündeln und Synergien zu nutzen?
Girgenrath: Die an den Unikliniken bereits aufgebauten IT-Strukturen und das Forschungsdatenportal für Gesundheit sind ideale Ankerpunkte für das Wachstum und die Vernetzung einer dezentralen Forschungsdateninfrastruktur in Deutschland. Dafür müssen alle Protagonisten – wie beispielsweise die MII, die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung und das Netzwerk Universitätsmedizin – noch enger zusammenarbeiten. Das Netzwerk Universitätsmedizin wurde mit Beginn der Corona-Pandemie gegründet und besitzt ein großes Potenzial, die Digitalisierung in der Medizin weiter voranzutreiben. Auch hier waren wir an der Konzeption und am Aufbau maßgeblich beteiligt.
Als Projektträger erkennen wir früh mögliche Synergien und setzen uns bei der Entwicklung einer dezentralen Forschungsdateninfrastruktur für eine produktive Kooperation der unterschiedlichen Initiativen ein. Ebenso tragen wir dazu bei, nicht kompatible Parallelentwicklungen zu vermeiden. Durch das breite wissenschaftliche Portfolio und die Erfahrung seiner Mitarbeitenden verfügt der DLR Projektträger über einen einzigartigen Kompetenzpool, mit dem er die Digitalisierung und datenbasierte Forschung im Gesundheitsbereich effizient und erfolgreich vorantreibt.