KI und Demokratie – ein Gegensatz?

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Klaus Uckel und Till van Rahden im Expertengespräch
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Künstliche Intelligenz (KI) ist eine Zukunftstechnologie, gleichzeitig schon Wirtschaftsfaktor und Werkzeug vieler Menschen im Alltag. Doch können Gesellschaft und die Demokratie davon profitieren? Klaus Uckel, Leiter des DLR Projektträgers, und Till van Rahden, Professor an der Université de Montréal, sprechen über die nötigen Weichenstellungen.

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Till van Rahden ist Historiker und erforscht das Spannungsfeld zwischen dem demokratischen Ideal der Gleichheit und kultureller Vielheit. Als Professor für Deutschland- und Europastudien an der Université de Montréal beleuchtet er die Herausforderungen und Brüche in demokratischen Gesellschaften – von der Aufklärung bis zur Gegenwart.

Klaus Uckel leitet den DLR Projektträger seit 2015. Der Volljurist arbeitete zuvor in unterschiedlichen, verantwortlichen Positionen als Ministerialrat im Bundesministerium für Bildung und Forschung, zuletzt als Leiter des Grundsatzreferats der Internationalen Abteilung.

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Collage von Klaus Uckel und Till van Rahden
Klaus Uckel und Till van Rahden
Collage: © DLR Projektträger; Porträt Till van Rahden © Stefanie Wetzel, Bad Homburg
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Schadet Künstliche Intelligenz der Demokratie?

Van Rahden: Viele liberale Demokratien stehen vor grundlegenden Herausforderungen – etwa dem Verlust von demokratischer Legitimität, dem Niedergang von Volksparteien, dem enormen Einfluss digitaler Filterblasen auf öffentliche Debatten oder dem Siechtum demokratischer Lebensformen. Künstliche Intelligenz an sich ist keines dieser fundamentalen Probleme. Doch verschärft sie die vorhandenen Probleme massiv. Der erste Schritt ist jetzt, eine breite gesellschaftliche Debatte über den Umgang mit Künstlicher Intelligenz zu führen. KI ist eine technologische Innovation, die in einem demokratischen Gemeinwesen von geistes-, sozial-, kultur- und medienwissenschaftlicher Grundlagenforschung begleitet werden muss. Erst diese Form der Reflexion ermöglicht eine Koevolution von Künstlicher Intelligenz und einer Gesellschaft, die den demokratischen Umgang mit der Technologie pflegt. Gerade für die Geisteswissenschaften gilt, dass sie diese Herausforderung am ehesten annehmen können, wenn eine langfristige Grundfinanzierung, ihr die Zeit und den Freiraum bietet, Forschung und Reflexion miteinander zu verbinden.

Uckel: Die grundlegenden Probleme von liberalen Demokratien entstehen nicht durch KI. Das Problem ist vielmehr die mangelhafte Regulierung neuer Medien, zum Beispiel sozialer Netzwerke beziehungsweise die Durchsetzung von Regeln. Es geht nicht, dass große Plattformen sich jeglicher publizistischen Verantwortung entziehen. In öffentlichen Gesprächen erreichen einzelne Akteure dort ein riesiges Publikum und verbreiten politische Inhalte. Klassische Medien, etwa aus den großen Verlagen, dürften über dieselben Inhalte nicht ungefiltert berichten. Es ist dringend geboten, soziale Medien entsprechend den Printmedien sowie Rundfunk- und Fernsehanstalten zu behandeln

Inwiefern können KI-Tools demokratische Prozesse stützen?

Uckel: KI-Systeme können tatsächlich zum Beispiel in der Verwaltung helfen, Vorgänge zu beschleunigen. Sie sind besonders gut darin, große Mengen von Daten zu verarbeiten. Das macht sie als Werkzeuge so nützlich. Wenn die Bürgerinnen und Bürger in den Genuss dieser Vorteile kommen, dann arbeitet die KI sogar gegen Politikverdrossenheit und unterstützt das Ansehen eines demokratisch verfassten Staates.

Van Rahden: Die Verarbeitung von Daten und Informationen ist aber nicht das Wichtigste, wenn es darum geht, politisch kluge, demokratisch legitime Entscheidungen zu treffen. Die politische Urteilskraft, die für eine Demokratie entscheidend ist, ist auf einer anderen Ebene angesiedelt. Es geht um Klugheit, die Urteilskraft aller Bürgerinnen und Bürger. Diese Art der politischen Urteilskraft ist etwas völlig anderes als alles, was Künstliche Intelligenz leisten kann.

Uckel: Der Begriff „Künstliche Intelligenz“ führt in die Irre. Das, was wir als KI erleben und kennen ist das vorhandene Wissen des Netzes. Die Arbeit mit einem Sprachmodel (Large Language Model) unterscheidet sich von Google-Recherchen vor allem dadurch, dass es quasi die Rolle eines Dokumentars übernimmt. Den beschäftigte man früher und teilweise auch noch heute in großen Zeitungsverlagen, um grundsätzliches Wissen für Artikel für Journalisten aufzuarbeiten. Auch dann muss am Ende der Journalist die Verantwortung übernehmen. Er kann dem Dokumentar glauben, muss es aber nicht! So kann auch die Interaktion zwischen Mensch und KI beschrieben und verstanden werden. Ich werbe dafür, von „Hybrider Intelligenz“ zu sprechen: Die Maschine arbeitet zu – als Werkzeug für den Menschen. Der Mensch ordnet ein und übernimmt die Verantwortung. In Zusammenarbeit von Mensch und KI entsteht der Mehrwert.

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„Ich werbe dafür, von „Hybrider Intelligenz“ zu sprechen: Die Maschine arbeitet zu – als Werkzeug für den Menschen. Der Mensch ordnet ein und übernimmt die Verantwortung. In Zusammenarbeit von Mensch und KI entsteht der Mehrwert.“

 

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Klaus Uckel
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Leiter DLR Projektträger 
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Klaus Uckel Leiter DLR Projektträger
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Zur Versachlichung der Diskussion gehört auch, dass die sogenannte „Intelligenz“ der KI noch lange nicht auf dem Level der menschlichen Intelligenz ist. Warum ich auch ganz entspannt sage: Die Gefahr eines Homunculus, wie in Goethes Faust oder eines Science-Fiction-RoboCop sehe ich nicht. Wir können noch nicht einmal nachvollziehen, wie der Mensch denkt, wie sein Gehirn wirklich funktioniert. Also können wir es auch nicht in Form eines Algorithmus, einer Künstlichen Intelligenz, reproduzieren. Daraus schließe ich, dass der Mensch beim aktuellen Entwicklungsstand in den nächsten mindestens 20 Jahren der Letztentscheider sein muss, wenn er Künstliche Intelligenz nutzt. Er trägt die Verantwortung im Sinne der Hybriden Intelligenz – wenn es der Diskurs so will. Und da ist meine These: Es könnte so eine Art Gesellschaftsvertrag geben, der Hybride Intelligenz zum Prinzip hat. Darin wäre unser gesellschaftliches Verständnis kodifiziert, wie wir KI entwickeln, für was wir sie entwickeln und wie wir sie benutzen. Der AI-Act und dessen Umsetzung in Deutschland gibt hier eine Chance über eine gute, partizipative Debatte auch mehr Entspanntheit und damit Abbau von Ängsten zu erreichen und gleichzeitig aber nichts zu verniedlichen, sondern eben aktiv anzugehen. Mit dem Grundsatz der „Hybriden Intelligenz“ wäre meines Erachtens schon viel gewonnen, auch für die Demokratie.

Welche Bildung ist nötig, um KI-Tools einzusetzen?

Van Rahden: Mir liegt besonders am Herzen, dass KI und Gesellschaft eine parallele Evolution durchlaufen müssen: Alle Technik muss sich gleichzeitig mit menschlichen Kompetenzen und kultureller Bildung entwickeln. Der Informatiker Edward Lee warnt dabei davor, zu großes Gewicht auf die reine technische Bildung zu legen, weil wir dann jede Generation von Schülerinnen und Schülern, Studentinnen und Studenten an die jeweils aktuelle Technologie ketten. Deshalb ist es mir so wichtig, für die geistes- und sozialwissenschaftliche Reflexion über technologische Innovation zu werben. Nur so entsteht nachhaltiges Wissen im Umgang mit anderen KI-Systemen oder den Technologien der Zukunft. Um die aktuellen Debatten über die Chancen und Risiken der Künstlichen Intelligenz besonnener beobachten und einordnen zu können, lohnte etwa ein Blick in den Rückspiegel der „Science and Technology Studies“ oder ein historisch informierter Schulterblick auf die euphorischen Erwartungen, welche die Versprechen der kybernetischen Demokratietheorie in den 1960er und 1970er Jahren weckten.

Uckel: In der persönlichen Bildung können LLMs, also große Sprachmodelle, eine enorme Bereicherung sein. Werkzeuge wie ChatGPT ermöglichen demokratischen Zugang zu ganz verschiedenen Texten aus unterschiedlichen Perspektiven. Wer mit der Technik umgehen kann, kommt mit einer breiten Auswahl verschiedener Meinungen aus unterschiedlichen Quellen in Berührung. Insofern sind LLMs auch eine Chance, die Meinungspluralität im eigenen Denken sowie durch Geschwindigkeitsgewinne zu stärken und neue Kreativität zu ermöglichen. KI kann so neues Reflexionswissen schaffen und Demokratie stützen. Aber wie gesagt, das Sprachmodell ist ein „Dokumentar“, der nicht nach bestem Wissen und Gewissen, sondern nach seinem Algorithmus eine Auswahl trifft. Für dessen Nutzung muss der Mensch die Verantwortung übernehmen.

Van Rahden: Dem stimme ich zu. Doch wird dieser neue Umgang mit Sprache wie bei ChatGPT problematisch, wenn ein Gespür dafür verloren geht, wie wichtig das neugierige, sorgfältige und achtsame Lesen für das demokratische Zusammenleben ist. Entscheidend ist meines Erachtens die Fähigkeit, politische, literarische und philosophische Texte genau zu lesen, zu verstehen und einzuordnen. Die KI kann die vorhandenen Interpretationen sammeln und sortieren, vielleicht sogar auf eine neue Art und Weise. Doch Texte – etwa von Friedrich Hölderlin, Franz Kafka oder Sylvia Plath, von Spinoza, Hume oder Arendt – sollten immer wieder neu gelesen und interpretiert werden. Das sind schwierig zu deutende Texte, an denen mündige Leserinnen und Leser durch Reflexion ihre politische Urteilskraft entwickeln können.

Uckel: Es geht darum, wie ich selbst aus mir heraus einen intellektuellen Schöpfungsakt entwickele – mit meinen Gedanken, meiner Kreativität. Das können KI-Systeme nicht übernehmen. Aber sie können assistieren, eben als Werkzeug. 

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Demokratie – eine gefährdete Lebensform

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Buchcover Demokratie von Till van Rahden
© Campus Verlag

Till van Rahden beschreibt in seinem Buch, wie wir der Krise liberaler Demokratien im Alltag begegnen können: Indem wir unsere Umgangsformen pflegen, die Streitkultur stärken und die öffentlichen Räume ausbauen, erhalten wir die Grundlagen unserer Demokratie. Das Buch ist im Campus-Verlag erschienen.

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Wie lernen Menschen das demokratische Zusammenleben?

Uckel: Ich glaube, dass es nicht in der Ethnologie des Menschen liegt, Demokratie digital zu gestalten. Wenn wir das exzessiv betreiben, wird KI zu einem Beherrschungsinstrument. 

Van Rahden:  Und trotzdem müssen wir konstatieren: Aufgrund technologischer Innovationen hat sich die Art und Weise wie Bürgerinnen und Bürger zusammenleben grundlegend verändert. Die Demokratie als Herrschaftsform zielt darauf ab, kollektiv verbindliche Entscheidungen herzustellen, die von der Bevölkerung akzeptiert werden. Deswegen wird eine andere Frage jetzt so wichtig: Was braucht die Demokratie als Herrschaftsform zum Leben? Oder ganz allgemein formuliert: Was sind die sozialen und kulturellen Voraussetzungen der Demokratie? Wir beobachten infolge der Digitalisierung, dass die Menschen sich zunehmend aus analogen Räumen zurückziehen. Das macht Manches einfacher, aber es gibt einen enormen Verlust an menschlichen Begegnungen.

Uckel: Ich darf aus Van Rahdens jüngstem Buch zitieren: „Wenn, wie Böckenförde betont, die liberale Demokratie davon lebt, dass die Bürger diese Ordnung auch in der Praxis tragen, gestalten und erneuern, setzt das Lebensformen, Räume und Orte voraus, die allen die Chance bieten, Freiheit und Gleichheit im Alltag sinnlich zu erfahren.“ Und digitale Arbeit ist keine sinnliche Erfahrung.

Van Rahden: Genau, und dann ist die große Frage: Was können wir in der jetzigen Situation tun, um die physischen Begegnungen zu stärken? Sinnliche Erfahrungen im demokratischen Mit- und Gegeneinander setzen auch weiterhin analoge Räume voraus, in denen sich fremde Menschen zufällig treffen. Ein schönes Beispiel ist das Getümmel im Freibad im Sommer, in dem wir uns nicht aus dem Weg gehen können. Dort muss der an heißen Tagen knappe Platz verteilt werden. Dabei geht es darum, unser Zusammenleben konkret zu gestalten. Es braucht solche Orte, an denen wir lernen, mit uns unbekannten Menschen taktvoll, höflich und respektvoll miteinander umzugehen. Die Demokratie lebt vom Streit und von der Erfahrung, dass wir mit politischen, kulturellen und moralischen Konflikten leben können, die wir nicht auflösen, sondern nur aushalten können. Deshalb ist demokratische Bildung eine lebenslange Aufgabe. Worauf es mir ankommt: Je digitaler bestimmte Formen unseres Alltags werden, desto wichtiger ist es, bewusst Räume und Orte für physische, analoge Begegnung zu pflegen oder zu schaffen.

Wie lässt sich Forschung mit und für Künstliche Intelligenz managen?

Van Rahden: Der „Geist der Demokratie“ sollte auch die Forschung rund um die Künstliche Intelligenz anleiten. Liberale Demokratien sind schlecht beraten, den Schutz und die Pflege ihrer kulturellen und sozialen Voraussetzungen an die politische Bildung und den Verfassungsschutz zu delegieren. Die Frage ist: Wie kommt der demokratische Geist in die Forschung? Etwa, indem Förderprogramme entsprechend ausgestaltet sind? Unverzichtbar ist dabei in jedem Fall die eingangs erwähnte geistes- und sozialwissenschaftliche Reflexion und Grundlagenforschung über die Chancen und Gefahren der Künstlichen Intelligenz. Da ist die Wissenschaftspolitik gefordert, ob in den Ländern, im Bund oder in Europa.

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„Der ‚Geist der Demokratie‘ sollte auch in die Forschung rund um Künstliche Intelligenz anleiten. Liberale Demokratien sind schlecht beraten, den Schutz und die Pflege ihrer kulturellen und sozialen Voraussetzungen an die politische Bildung und den Verfassungsschutz zu delegieren.“

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Till van Rahden
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Professor an der Université de Montréal
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Uckel: An der konkreten Ausgestaltung verantwortungsvoller Förderlinien wollen wir als Projektträger gerne mitarbeiten und sind gut aufgestellt, um diese Verantwortung zu übernehmen. Der Transfer von neuen Technologien wie KI ist eine Aufgabe, die wir leisten können. Als Projektträger können wir Chancen erkennen, sie nutzen und das gewonnene Wissen einsetzen, um die Welt von morgen zu gestalten. KI wird in jedem Fall große Wirkung auf die Gesellschaft entfalten. Die neue Technologie wird Wohlstand ermöglichen und vermehren. Im Rennen um die besten Geschäftsmodelle mit Künstlicher Intelligenz sollte Deutschland also auf keinen Fall den Anschluss verlieren. Denn auch eine starke Wirtschaft stärkt unsere liberale Demokratie.

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