Weniger Fahrzeuge, intelligentere Mobilitätsketten
Ideen, Innovationen und Herausforderungen für die Verkehrswende im urbanen und im ländlichen Raum
Ein Interview von Evelyn Stahl, Bereichskommunikatorin für Gesellschaft, Innovation, TechnologieZukunft der Mobilität
In einer kurzen Reihe beleuchten die DLR Projektträger Expertinnen und Experten Dr. Jens Erler, Dr. Tania Hancke sowie Jenny von Wnuck Lipinski die Trends rund um die Themen Energie- und Verkehrswende.
Energie und Verkehr zusammen denken
Herausforderung Ladeinfrastruktur – Abschied vom Plug-in-Hybrid
Ideen, Innovationen und Herausforderungen für die Verkehrswende im urbanen und im ländlichen Raum
Evelyn Stahl: Ab 2035 sollen in der Europäischen Union keine neuen Pkw mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden. Bedeutet das das Ende des Verbrennungsmotors?
Jenny von Wnuck Lipinski: Ich halte es für verkehrt, die existierenden Fahrzeuge mit aller Macht von den Straßen zu drängen, weil allein die Herstellung jedes neuen Pkw erst einmal sehr viel Energie und Ressourcen benötigt. Aber bei den Neuzulassungen, wie es gesetzlich geregelt werden soll, ist es auf jeden Fall sinnvoll.
Tania Hancke: 2035 gibt es dann hoffentlich genügend andere attraktive Mobilitätsformen, sodass möglichst viele Menschen zu dem Schluss kommen, dass sie kein eigenes Auto mehr brauchen.
Jenny von Wnuck Lipinski: Solange es die noch nicht gibt, sehe ich es aber gerade für den ländlichen Raum kritisch, den Menschen vorschreiben zu wollen, auf das eigene Auto zu verzichten. Auf dem Land gibt es bei der ÖPNV-Anbindung noch viele weiße Flecken.
Jens Erler: Andererseits könnte es gerade auf dem Land einfacher sein, den Leuten das E-Auto schmackhaft zu machen, weil die meisten über eine eigene Garage verfügen und so ihr Auto komfortabel zu Hause laden können. Kommt der Strom zudem von der eigenen PV-Anlage auf dem Dach fährt man nicht nur nachhaltig, sondern auch konkurrenzlos günstig. In der Stadt ist das Laden für viele so genannte Laternenparker aktuell mit mehr Aufwand verbunden.
Um Mobilität mit dem eigenen Pkw zu reduzieren, könnte oder sollte man beispielsweise Fahrten in die Innenstädte unbequem und aufwändig machen. Dann wird der ÖPNV mit Sicherheit attraktiver.
Um CO2 zu reduzieren müssen Fahrzeuge reduziert werden
Evelyn Stahl: Werden also einfach deutlich mehr E-Autos – sowohl in der Stadt als auch auf dem Land – benötigt, um die Verkehrswende zu meistern?
Tania Hancke: Das Ziel der Verkehrswende ist ja vor allen Dingen die CO2-Reduzierung. Das bedeutet nicht zwangsläufig, jedes Auto durch ein E-Auto zu ersetzen, sondern vor allem, den Verkehr insgesamt zu reduzieren. Dem wirken aber zwei Effekte entgegen: Wenn Mobilität immer bequemer und einfacher wird, sind immer mehr Menschen öfter unterwegs. Außerdem nimmt besonders in den Innenstädten der Lieferverkehr aktuell enorm zu, Schätzungen aus Zeiten vor der Pandemie gehen von bis zu 80 Prozent Zuwachs bis 2030 aus. Es sind also mehr Menschen unterwegs, mehr Pakete werden geliefert, aber gleichzeitig muss der Verkehr reduziert werden.
Evelyn Stahl: Wie kann das gelingen?
Tania Hancke: Aus meiner Sicht könnten mittelfristig die Hälfte der derzeit über 48 Millionen Pkw abgeschafft werden. Dafür müssen Pkw gemeinsam genutzt werden, etwa in Form von Ridesharing oder Carsharing. Genau das ist auch in der Logistik notwendig. Es kann nicht sein, dass alle Paketdienste immer wieder die gleiche Straße abfahren und ihre Päckchen ausliefern, auch hier muss es eine gemeinsame oder koordinierte Nutzung geben. Um Mobilität mit dem eigenen Pkw zu reduzieren, könnte oder sollte man beispielsweise Fahrten in die Innenstädte unbequem und aufwändig machen – Möglichkeiten hier sind unter anderem Parkraumverknappung etwa durch die Umgestaltung in kleine grüne Aufenthaltsbereiche oder Spielplätze, Tempo 30 oder Einfahrbeschränkungen in den Innenstädten. Dann wird der ÖPNV mit Sicherheit attraktiver. Weitere wirksame Maßnahmen sind günstige und bundesweit gültige ÖPNV Tarife, wie jüngst das 9-Euro-Ticket gezeigt hat.
Autofreie Innenstädte für die Verkehrswende
Evelyn Stahl: Autos sollten also aus der Innenstadt verbannt werden?
Tania Hancke: Natürlich nicht von heute auf morgen, aber zum Beispiel im Rahmen eines Dreijahresplans, der definiert, welche Straßen ab wann für Autos gesperrt sind. So können sich die Menschen darauf einstellen und überlegen, ob sie ihr Auto zu einem bestimmten Zeitpunkt sogar ganz abgeben und auf andere Angebote umsteigen. Gleichzeitig müssen die anderen Mobilitätsangebote hochgefahren werden, die sich dann wie in einem Baukasten zusammenstellen lassen – von der Straßenbahn über Busse, autonome Shuttles, Carsharing-Autos, autonome Robo-Taxis, bis hin zu E-Rollern und Fahrrädern und natürlich dem Zufußgehen. Das muss intelligent kombiniert werden, sodass es für die jeweilige Stadt passt. Wichtig ist, dass die Mobilitätsketten smart sind und möglichst nahtlos funktionieren – dass also gut über die Angebote informiert wird, sie einfach zu buchen sind und man nicht eine halbe Stunde auf den Anschluss wartet, sondern nur ein paar Minuten. Erst wenn ich mich von einem beliebigen Punkt A zu einem beliebigen Punkt B in einer effizienten Zeit bewegen kann, wird das eigene Auto in der Stadt überflüssig.
Gerade auf dem Land könnte es einfacher sein, den Leuten das E-Auto schmackhaft zu machen, weil die meisten über eine eigene Garage mit Stromanschluss verfügen. Kommt der Strom zudem von der eigenen PV-Anlage auf dem Dach fährt man nicht nur nachhaltig, sondern auch konkurrenzlos günstig.
Carsharing und autonomes Fahren auf dem Land
Evelyn Stahl: Was müsste passieren, damit das auch im ländlichen Raum funktioniert?
Tania Hancke: Wir betreuen die Förderinitiative LandMobil – unterwegs in ländlichen Räumen vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, in der viele Carsharing-Ansätze – auch mit E-Autos – erprobt werden. Dabei muss man genau abwägen, wie viele Fahrzeuge wo gebraucht werden. Wenn es zum Beispiel in einem kleinen Ort Carsharing-Autos gibt, mit denen die Menschen in die nächste Großstadt pendeln, benötigen sie dann immer noch ein Fahrzeug, mit dem sie ihre lokalen Besorgungen machen können. Oft sind auch hochautomatisierte kleine Shuttlebusse, in denen sieben bis acht Fahrgäste Platz haben, im Gespräch. Derzeit ist die Technologie aber noch nicht ausgereift, um damit autonom auf Landstraßen unterwegs zu sein. Ein sehr interessanter Ansatz ist allerdings, stillgelegte Bahngleise zu reaktivieren und zu Fahrbahnen für solche autonomen Shuttles zu machen. Das ist dann ein geschützter Bereich, in dem es keinen Mischverkehr gibt. Denn der ist aktuell das Problem, an dem das autonome Fahren in der Stadt überwiegend scheitert.
Mobilität 2030: Mehr E-Autos, mehr Fahrräder, intelligentere Mobilitätsketten
Evelyn Stahl: Wie wird die Mobilität im Jahr 2030 aussehen?
Jens Erler: Ich hoffe, dass das Laden bis dahin überall intuitiv und benutzerfreundlich funktioniert, Stichwort „Plug and Charge“. In vielen Bereichen, beispielsweise auf Autobahnen, ist das heute schon erlebbar. Und im Bereich der Mikro-Mobilität wünsche ich mir mehr Fahrräder, gerne mit elektrischer Unterstützung, was in den Städten auch mit Sicherheit so kommen wird.
Tania Hancke: 2030 wird man in Städten durch Mobilitätsdienstleistungen von öffentlichen und privaten Anbietern bis zur eigenen Haustür unterwegs sein können, wenn nötig, ansonsten bis zur nächsten Straßenecke mit einer virtuellen Haltestelle. Außerhalb der Stadt wird wohl noch lange nicht alles automatisiert sein. Der menschliche Fahrer wird hier noch nicht komplett wegfallen, eventuell steigt er ja an der Stadtgrenze in den Bus ein. Auf dem Land werden auch weiterhin private Autos unterwegs sein, auch wenn vielleicht Fahrgemeinschaften gebildet werden und man für die Nachbarn einmal etwas mitbringt.
Jenny von Wnuck Lipinski: Ich wohne im ländlichen Raum und bin daher für alle alltäglichen Dinge auf das Auto angewiesen. Deswegen kommen in meiner Zukunftsperspektive diese Dinge zu mir, wobei dann auch Synergien genutzt werden. Es fahren also nicht drei Postfahrzeuge von unterschiedlichen Anbietern durchs Dorf, sondern es gibt eine gemeinsame Lösung, sodass nicht ich zum Markt fahre, sondern der Markt – logistisch sinnvoll aufgeteilt und effizient gesteuert – zu mir kommt.
Interdisziplinäres und vernetztes Denken ist gefordert
Evelyn Stahl: Es gibt also schon gute Konzepte für eine zukunftssichere Mobilität in der Stadt und auf dem Land. Welche Herausforderungen müssen seitens der Politik noch adressiert werden?
Jenny von Wnuck Lipinski: Forschungsbedarfe müssen ressortübergreifend schneller und wirksamer adressiert werden, das steht auch im Koalitionsvertrag. Hier muss ein Sinneswandel stattfinden, dass die verschiedenen Aspekte der Energie- und Verkehrswende nicht nur einzeln betrachtet werden, sondern vernetzt. Gerade in der Förderlandschaft ist das ein Knackpunkt.
Es muss ein Sinneswandel stattfinden, dass die verschiedenen Aspekte der Energie- und Verkehrswende nicht nur einzeln betrachtet werden, sondern vernetzt. Gerade in der Forschungsförderlandschaft ist das ein Knackpunkt.
Evelyn Stahl: Uns im DLR Projektträger kommt das sehr entgegen, weil wir ja sowieso bereichsübergreifend und interdisziplinär arbeiten, auch beim Thema Mobilität und Verkehr. Was muss denn in Deutschland passieren, um Fortschritte speziell beim autonomen Fahren zu machen?
Tania Hancke: Wir müssen die Siebenmeilenstiefel anziehen, weil auch andere in dem Bereich forschen, etwa die großen Tech-Konzerne. Eine Tochterfirma von Google hat vor zwei Jahren extern drei Milliarden Dollar an Forschungsmitteln für ein selbstfahrendes Taxi eingeworben. Da kommen wir in Deutschland nicht ran, aber dennoch gibt es hier viele gute Forschende mit einer hohen Fachkompetenz. Jetzt müssen wir Gas geben und Feldtests zu neuen Mobilitätsangeboten durchführen, etwa in neuen Quartieren. Die könnte man von Anfang an autofrei machen, dann ist das deutlich einfacher mit dem autonomen Fahren. Dafür sind aber eine zentrale Stelle und eine klare Agenda notwendig. Es braucht einen runden Tisch von Industrie und Forschung in Berlin mit einem zentral gesteuerten Prozess. Denn in Deutschland betreiben 400 Kommunen ÖPNV, die derzeit weder finanziell noch personell in der Lage sind, das Thema autonomes Fahren für die Verkehrswende zu bearbeiten. Außerdem müssen Prozesse, Genehmigungen und Gesetze schneller und einheitlicher werden. Im Moment werden zum Beispiel autonome Shuttles zuerst vom Kraftfahrt-Bundesamt als Typ zugelassen, dann vom Land und dann noch mal von der Kommune vor Ort – und das ist jedes Mal ein Einzelfall. Das ist unnötig kompliziert und zeitraubend.