Science Diplomacy: Eine gemeinsame Sprache sprechen
Science Diplomacy beschreibt das Zusammenwirken von internationaler Politik und Wissenschaft: Wenn sich internationale Politik auf wissenschaftliche Evidenz gründet – etwa um den Klimawandel zu bewältigen – , aber auch wenn die Politik Rahmenbedingungen für grenzüberschreitende Forschungskooperationen schafft oder wissenschaftliche Partnerschaften in angespannten diplomatischen Situationen bestehen, geht es um Science Diplomacy. Insbesondere mit Blick auf den letztgenannten Aspekt haben verschiedene Stimmen Science Diplomacy nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine für gescheitert erklärt. Teilen Sie diese Meinung?
Simone Weske: Nein, im Gegenteil. Natürlich kann Science Diplomacy keinen Aggressor stoppen. Allerdings ist es aus unserer Sicht realistisch zu glauben, dass internationale Wissenschaftskooperationen zur Vertrauensbildung beitragen und damit bis zu einem gewissen Grad ausgleichend wirken können. Man darf dabei nicht blauäugig sein, sondern sollte stets hinterfragen, inwiefern man mit der wissenschaftlichen Zusammenarbeit autoritäre Regimes stärkt oder eigene politische Interessen gefährdet. Es gibt ganz klar Grenzen, bei deren Überschreitung eine Zusammenarbeit auf staatlicher Ebene nicht mehr in Frage kommt. Doch selbst dann sollten wir bedenken, dass weder Staaten, noch die Wissenschaft einzelner Staaten, monolithische Blöcke sind. Auch in repressiven politischen Systemen gibt es Widerspruch zur offiziellen Linie und mutige Forschende, die sich offen gegen Krieg, Unterdrückung und für Völkerverständigung und Kooperation aussprechen. Diesen Personen den Rücken zu stärken – auch das ist Science Diplomacy.
Maria Josten: In der Tat, mehr denn je gilt es heutzutage auch, die Risiken internationaler wissenschaftlicher Kooperation in den Blick zu nehmen. Grundlegende Prinzipien der internationalen Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung, wie Wissenschaftsfreiheit, sind zunehmend bedroht. Es geht auch darum, diese Prinzipien zu schützen. Wir brauchen Partner, mit denen wir vertrauensvoll zusammenarbeiten können, besonders in sensiblen Themenfeldern, wie etwa der Versorgungssicherheit und bei Fragen der technologischen Souveränität. Systemrivalitäten, wie etwa mit China, spielen bei Kooperationsüberlegungen eine zunehmende Rolle. Ein kontinuierlicher Austausch zwischen Wissenschaft und Politik zur sinnvollen Gestaltung der Forschungs- und Entwicklungs-Zusammenarbeit ist hierzu unerlässlich.
Nadia Meyer: Was sollte auch die Alternative zur Science Diplomacy sein? Alle aktuellen globalen Herausforderungen wie COVID-19, der Klimawandel oder die Plastikverschmutzung der Ozeane haben drei Gemeinsamkeiten: Sie beinhalten wissenschaftliche, technologische und soziale Komponenten, sie sind hochkomplex und sie haben eine grenzüberschreitende, oft weltweite und dadurch auch politische Dimension. Genau an dieser Schnittstelle kommt Wissenschaftsdiplomatie ins Spiel: Die internationale Politik braucht Daten und Fakten von der Wissenschaft und die Wissenschaft benötigt politisch gesetzte Rahmenbedingungen und Orientierung.
Wissenschaftsdiplomatie beim DLR Projektträger
Der DLR Projektträger spielt eine wichtige Rolle beim Thema Wissenschaftsdiplomatie. Er bietet zum Beispiel mit der 2021 gegründeten "Science Diplomacy Academy" eigenständige und bedarfsbezogene Trainings, Kurse und Coachings weltweit an – sowohl für Mitarbeitende aus Ministerien als auch aus Forschungs- und Mittlerorganisationen. Mit der „European Union Science Diplomacy Alliance“, deren Vorsitz er in der zweiten Jahreshälfte 2021 innehatte, berät er unter anderem die Europäische Kommission bei der Entwicklung einer EU-Science-Diplomacy-Agenda. Die neue Veranstaltungsreihe des Brüsseler Büros „Brussels: FutureTalk“ fördert den Austausch von Fachleuten aus Politik, Wissenschaft und Diplomatie. Und mit dem BMBF-Preis für Bildungs- und Wissenschaftsdiplomatie, den der DLR Projektträger im Auftrag des Ministeriums mitentwickelt hatte, wurden 2021 drei wissenschaftsdiplomatische Initiativen weltweit ausgezeichnet.
Laden Sie sich hier den Flyer der Science Diplomacy Academy herunter.
Welches Paradebeispiel fällt Ihnen für die Wirkungsweise von Wissenschaftsdiplomatie ein?
Nadia Meyer: Nehmen wir das Beispiel Mittelmeerraum: 2018 ist die internationale Förderinitiative PRIMA (Partnership for Research and Innovation in the Mediterranean Area) angelaufen, die der DLR Projektträger im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung mit angestoßen hat. PRIMA hat das Ziel, Herausforderungen wie Ernährungssicherheit und Wasserknappheit in der Mittelmeerregion durch Forschung und Innovation zu bewältigen. Die Politik baute dabei die Brücken zwischen den Partnern – zum Beispiel zwischen den arabischen Ländern und Israel – und entwickelte den Rahmen für die Zusammenarbeit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die Forschungsergebnisse wiederum können als Evidenzbasis für politische Entscheidungen in der Region dienen. An PRIMA beteiligt sind neben Deutschland insgesamt 19 Länder Europas und des südlichen und östlichen Mittelmeerraums sowie die Europäische Kommission.
Mit der Science Diplomacy Academy des DLR Projektträgers bringen Sie immer wieder Menschen aus Politik und Wissenschaft ins Gespräch zum Thema Science Diplomacy und bieten auch Trainings in dem Bereich an. Wo genau sehen Sie den Bedarf?
Simone Weske: Der Bedarf fängt schon bei einem gemeinsamen Verständnis der Chancen, aber auch Herausforderungen der Wissenschaftsdiplomatie an: Teilweise besteht auf Seiten der Wissenschaft die Sorge, dass sie für diplomatische Zwecke instrumentalisiert werden könnte. Oder die Politik verzweifelt an der Vielstimmigkeit der Wissenschaft. Auch das Problembewusstsein zu möglichen Sicherheitsaspekten in der Wissenschaftskooperation muss als Teil der Science Diplomacy gestärkt werden. Wir bieten zielgerichtete Trainings an, um die beteiligten Menschen für diese Aspekte zu sensibilisieren.
Maria Josten: Wir dürfen nicht vergessen: Es gibt weder eine Berufsbezeichnung noch eine Ausbildung für „Wissenschaftsdiplomaten“. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kennen selten die politischen Entscheidungsprozesse und dringen häufig nicht bis zur Politik durch. Politikerinnen und Politiker wiederum verstehen die Sprache der Wissenschaft teilweise nicht. Um zu wissen, wie man Initiativen der Wissenschaftsdiplomatie erfolgreich umsetzt, müssen die beteiligten Akteure gezielt ausgebildet werden – genau das tun wir im Rahmen unserer Science Diplomacy Academy.