Künstliche Intelligenz im Mittelstand

Damla Harman ist Wissenschaftliche Referentin in der Abteilung KI-Anwendungen in der Wirtschaft beim DLR Projektträger. Sie betreut Forschungsprojekte in den Bereichen Künstliche Intelligenz, 5G, Quantencomputing und nachhaltige Technologien (GreenTech). Darüber hinaus leitet sie den Förderaufruf für Generative KI für den Mittelstand und ist stellvertretende Programmverantwortliche für internationale Kooperationen im Auftrag von Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE), Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) und Cybersicherheitsprojekte in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI).
Am 24. September 2025 veranstaltet der DLR Projektträger ein hybrides Event unter dem Motto „KI gestalten: Technologie trifft gesellschaftliche Verantwortung.“ Sie sind als Keynote-Speakerin für die Impuls-Keynote dabei. Welche Kernkompetenzen sollte die Gesellschaft entwickeln, um Künstliche Intelligenz verantwortungsvoll und sinnvoll zu nutzen?
Damla Harman: Was es braucht, ist eine Kombination aus technischer Kompetenz, einem reflektierten, verantwortungsbewussten Umgang und einer offenen Haltung gegenüber KI.
Technologische Kompetenz ist die Basis. Ohne ein grundlegendes Verständnis von KI-Technologien können wir weder sinnvoll mit KI arbeiten noch ihre Potenziale voll ausschöpfen. Es ist essenziell, dass wir als Gesellschaft KI-Methoden verstehen und lernen, sie gezielt einzusetzen.
Ein weiterer zentraler Punkt ist das kritische Denken. Wir sollten den Ergebnissen von KI-Systemen nicht blind vertrauen, sondern sie stets hinterfragen. KI bietet viele Potenziale und Chancen, ist aber nicht frei von Fehlern, Verzerrungen oder sogenannten „Halluzinationen“. Ebenso müssen wir sensibel mit Daten umgehen, die wir der KI zur Verfügung stellen. Verantwortungsbewusstsein und kritisches Denken ist deshalb essentiell für den Umgang mit KI-Technologien.
Zuletzt sehe ich auch die Veränderungskompetenz als wichtigen Faktor. Wir müssen offen und bereit sein, KI aktiv zu nutzen und die damit verbundenen Neuerungen mitzugestalten. Nur durch aktives Ausprobieren und Anwenden können wir die Potenziale beurteilen und einen Mehrwert daraus ziehen.
Wo ordnen Sie den KI-Reifegrad vom deutschen Mittelstand ein? Ist das Thema Künstliche Intelligenz dort schon angekommen?
Harman: Der KI-Reifegrad im deutschen Mittelstand ist heterogen und abhängig von Faktoren wie Unternehmensgröße oder Branche. Der Trend zeigt jedoch klar in Richtung verstärkter Nutzung. Vor allem größere, industriegetriebene KMU setzen KI zunehmend gezielt ein, etwa zur Prozessoptimierung oder zur vorausschauenden Wartung. Diese Unternehmen beteiligen sich auch häufiger an Forschungsprojekten und testen KI-Lösungen aktiv.
Kleinere Dienstleister oder Start-ups hingegen befinden sich oft noch in der Phase des Kennenlernens und Auslotens: Wie kann KI überhaupt im eigenen Unternehmen sinnvoll eingesetzt werden? Wo liegen die Potenziale für Prozessoptimierungen? Hier besteht häufig noch Unsicherheit, wie die Einführung gelingen kann.
Insgesamt kann man sagen: KI ist im Mittelstand angekommen, jedoch meist in Form von Pilotprojekten oder dem Einsatz fertiger Lösungen, etwa Open-Source-Tools. Die Herausforderung bleibt, aus einzelnen Initiativen den Sprung zu nachhaltiger und umfassender Anwendung zu schaffen.
„KI ist im Mittelstand angekommen, jedoch meist in Form von Pilotprojekten oder dem Einsatz fertiger Lösungen, etwa Open-Source-Tools. Die Herausforderung bleibt, aus einzelnen Initiativen den Sprung zu nachhaltiger und umfassender Anwendung zu schaffen.“
Wie gelingt es mittelständischen Unternehmen, das Potenzial von KI zu erkennen und gezielt für ihre Prozesse zu nutzen?
Harman: Zunächst braucht es ein Bewusstsein für die Chancen von KI. Dazu leistenBest-Practice-Beispiele und die Verbreitung von Forschungsergebnissen einen wichtigen Beitrag. Wenn beispielsweise ein Maschinenbauer mittels KI seinen Ausschuss um 30 Prozent reduzieren konnte, wirkt das unmittelbar und motiviert andere Unternehmen zur Nachahmung. Denn wenn Wettbewerber durch KI quantifizierbar sichtbare Erfolge erzielen, wird bei der Konkurrenz schneller das Bewusstsein entstehen, KI im eigenen Unternehmen einzusetzen.
Unternehmen sollten beim potenziellen KI-Einsatz strukturiert vorgehen und analysieren, in welchen Bereichen Faktoren wie Zeit, Kosten oder Qualität verbessert werden können. Anhand einer solchen Bedarfsanalyse lassen sich gute Ansatzpunkte für die KI-Implementierung identifizieren. Der Einsatz von KI ist ein iterativer Prozess, das heißt aus Pilotprojekten lernen, Ergebnisse prüfen und die Anwendungen schrittweise auf weitere Bereiche skalieren. Gleichzeitig müssen Mitarbeitende früh eingebunden werden, um Ängste abzubauen und Akzeptanzverlust zu vermeiden. Der Arbeitsmarkt wird sich durch KI stark verändern, bringt jedoch viele neue Chancen und Perspektiven vor allem für Fachkräfte mit entsprechenden Qualifikationen. Daher sind der Aufbau von digitalen Kompetenzen und entsprechende Weiterbildungen im KI-Bereich unerlässlich.
Zudem sollte der Mittelstand seine digitale Kompetenz stärken und Förderangebote und Transferzentren nutzen beispielsweise in Form von niedrigschwelligen Beratungsangeboten oder KI-Readiness-Checks.
„Wenn beispielsweise ein Maschinenbauer mittels KI seinen Ausschuss um 30 Prozent reduzieren konnte, wirkt das unmittelbar und motiviert andere Unternehmen zur Nachahmung.“
In welchen Branchen und Unternehmensbereichen bietet sich der Einsatz von KI besonders an, und welche Anwendungsfälle sind Erfolg versprechend?
Harman: Überall dort, wo es um die Erkennung von Mustern geht, ist der KI-Einsatz besonders wirkungsvoll. Die Industriebranchen sind Vorreiter, was den Einsatz von KI-Lösungen angeht. Fertigung, Maschinenbau und Logistik sind typische Branchen. Diese Unternehmen verfügen über große Datenmengen und standardisierte Prozesse, weil sie mit Maschinen arbeiten, die viele Daten sammeln können. Das sind ideale Voraussetzung um KI im Bereich Predictive Maintenance, zur Prozessoptimierung oder zur Routenplanung einzusetzen. Der Handel wiederum kann durch präzisere Kundenanalysen das Nachfrageverhalten besser prognostizieren. Im Finanzsektor wird KI zur Risikobewertung eingesetzt. Auch in der Kreativbranche wie Design oder Gaming eröffnet generative KI neue Möglichkeiten und unterstützt beispielsweise in der Ideenfindung.
Inwiefern unterstützen Sie durch ihre Arbeit den Mittelstand ganz konkret: Können Sie ein Best-Practice-Beispiel nennen?
Harman: Ein besonders wirkungsvolles Förderprogramm ist das Förderprogramm KI-Innovationswettbewerb – Generative KI für den Mittelstand. Es unterstützt praxisnahe Projekte, die den Einstieg in generative KI erleichtern und ist explizit auf die Bedürfnisse von KMUs zugeschnitten. Im Auftrag vom BMFTR fördern wir aktuell zehn Projekte. Einzige Voraussetzung war, dass die Lösungen auf europäischen Open-Source-Modellen und Standards basieren. Denn es geht uns nicht darum, das Rad neu zu erfinden, sondern vorhandene Technologie zu nutzen, die gleichzeitig unsere digitale Souveränität stärken. In einem Projekt wird beispielsweise ein generatives KI-Assistenzsystem entwickelt, das KMUs insbesondere im Bereich der Produktentwicklung einsetzen können. Denken wir beispielsweise an einen Textilhersteller, der für Kunden individuelle Produkte und Designs herstellen muss. Eine Automatisierung ist hierbei deutlich schwieriger, da jeder Kunde etwas anderes will, zum Beispiel eine andere Farbe oder ein anders Logo. Wenn dieser Textilhersteller eine KI einsetzt, die beispielsweise dabei unterstützt, Designvorschläge zu liefern, ist dies in jedem Fall schon eine große Arbeitserleichterung.
Ein weiterer wichtiger Baustein sind die Mittelstand-Digital Zentren, die wertvolle Hilfestellungen liefern, beispielsweise in Form kostenfreier Beratungsleistungen, Workshops oder sogenannter KI-Readiness-Checks. Auch Projekte wie „Rosie“, ein Chatbot für die automatisierte Kundenberatung, sind praxisnahe Beispiele für KI-Anwendungen im Mittelstand.
Welche zentralen Herausforderungen sehen Sie bei der Einführung von KI in Unternehmen?
Harman: Eine Grundvoraussetzung ist die entsprechende Daten-Basis. Ohne verfügbare, vollständige, bereinigte Daten kann kein KI-System zuverlässig arbeiten. Wenn Produktdaten lückenhaft sind und somit die Datenqualität nicht stimmt, lässt sich daraus kein Mehrwert generieren.
Hinzu kommen regulatorische Anforderungen. Als der EU AI Act herauskam, wurde vorausgesetzt, dass Unternehmen den EU AI Act aktiv anschauen, sich beraten lassen und ihre Lösungen am Ende so abbilden, dass sie mit dem EU AI Act konform sind. Wir haben jedoch schnell festgestellt, dass der bürokratische Aufwand, der Beratungsbedarf und der zusätzliche Zeitbedarf, der dadurch ins Spiel kommt, die Unternehmen davon abschreckt, mitzumachen. Gerade beim AI Act entstehen Unsicherheiten, die viele Unternehmen hemmen.
Letztendlich kommen kulturelle Hürden hinzu. Wer im Wettbewerb wenig Druck verspürt und bisher erfolgreich ist, sieht mitunter keinen Anlass zur Veränderung. Auch Mitarbeitende reagieren mitunter mit Skepsis oder sind besorgt um ihren Arbeitsplatz. Deshalb ist es entscheidend, frühzeitig Transparenz zu schaffen, Mitarbeitende früh mitzunehmen und einzubinden und die Veränderungskompetenz unternehmensweit zu stärken.
Zum Abschluss noch ein Blick nach vorn: Wenn Sie an Innovation, Forschungsförderung und KI denken: Was wünschen Sie sich persönlich für die Zukunft?
Harman: KI darf nicht nur ein Technologiethema sein, sondern muss als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden und gestaltet werden. Dazu gehört schon heute in Schulen KI-Kompetenzen zu fördern und dabei möglichst schnell voranzukommen, um mit der rasanten Entwicklung Schritt zu halten. Denn wer früh startet, baut sich einen entscheidenden Vorsprung auf und kann den technologischen Wandel aktiv mitgestalten. Gleichzeitig müssen wir technologische Souveränität sichern. Dazu braucht es eigene Modelle, Infrastruktur und Standards, damit wir unabhängig und innovativ bleiben. Ein weiterer wichtiger Schlüssel für die Zukunft ist Interdisziplinarität. Technik-, Sozial- und Geisteswissenschaften müssen gemeinsam forschen, ihre Perspektiven einbringen und die Technologie im Dienst der Menschen gestalten. Wenn wir diese Faktoren erfolgreich umsetzen, wenn wir all das schaffen, werden wir nicht von Technologie getrieben, sondern gestalten sie aktiv – im Sinne von Wohlstand, Lebensqualität und gesellschaftlichem Fortschritt.
50 Jahre DLR Projektträger: Hybrides Event zu Künstlicher Intelligenz und gesellschaftlicher Verantwortung
Am 24. September 2025 widmet sich der DLR Projektträger in seiner hybriden Event-Reihe dem Thema: Künstliche Intelligenz. Fachleute aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft diskutieren unter dem Motto „KI gestalten: Technologie trifft gesellschaftliche Verantwortung“ über den Transfer in die Wirtschaft, Bildung im KI-Zeitalter, hybride Intelligenz und zentrale Herausforderungen des KI-Innovationsökosystems.
Termin: 24.09.2025, ab 16 Uhr
Hybrid: Bonn + online via Livestream
Seien Sie dabei und verfolgen Sie das Event online im Livestream. Mehr erfahren