Globale KI-Transformation, nationale Verantwortung: Berufsbildung gestalten
Hannes Barske ist Erziehungswissenschaftler und leitet im DLR Projektträger die Abteilung Internationale Zusammenarbeit in der Berufsbildung. Gemeinsam mit einem multidisziplinären Team betreut er die Kooperations- und Förderaktivitäten des Bundesbildungsministeriums im Kontext der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit. Dabei ergeben sich vielfältige Bezüge zu Transformationsthemen wie beispielsweise Digitalisierung, KI, Klimawandelfolgen und globale Migrationsbewegungen.
Eva Maria Zimmermann ist Erziehungswissenschaftlerin und spezialisiert auf die internationale Berufsbildungszusammenarbeit. In den vergangenen Jahren hat sie besonders die bilateralen Berufsbildungskooperationen mit Italien, Griechenland und der Volksrepublik China geprägt. Dabei vernetzt sie in Deutschland und den Partnerländern Akteure aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Als ausgebildete Moderatorin ist sie zudem regelmäßig an zentralen internen Innovations- und Reorganisationsvorhaben beteiligt.
Was ist Ihre positive Vision für Künstliche Intelligenz in der Berufsbildung?
Hannes Barske: Künstliche Intelligenz kann berufliche Bildung gerechter machen. Insbesondere Menschen, die zuvor eher von Bildung abgehängt waren, bekommen durch KI bessere Chancen, Zugang zu neuen Wissensgebieten zu finden. Traditionell sind Texte und Bücher der Weg zu neuem Wissen. Mit KI-Tools besteht jetzt die Möglichkeit, intuitiv mit einem geduldigen und wertschätzenden Gesprächspartner zu lernen – etwa mit einem Chatbot. So können neue Fähigkeiten handlungsbezogen erschlossen werden. Darin liegen große Chancen für die berufliche Bildung. Entscheidend ist: Der Mensch bleibt im Fahrersitz. KI muss Werkzeug bleiben, um Lernprozesse handlungsbezogen, intersubjektiv und kommunikativ weiterzuentwickeln.
Eva Maria Zimmermann: Wenn wir auf die internationale Berufsbildungszusammenarbeit schauen, haben wir durch KI die Möglichkeit, sprachliche und kulturelle Hürden zu überwinden. So können wir beispielsweise Übersetzungsarbeit durch Künstliche Intelligenz machen lassen und auch viele andere Aufgaben in Projekten mit internationalen Partnern schneller und mit weniger Personaleinsatz durchführen, wie etwa aufwendige Hintergrundrecherchen oder die Protokollierung und Auswertung internationaler Gesprächsrunden.
Neue Kompetenzen für eine KI-geprägte Arbeitswelt
Frage: Welche neuen KI-Kompetenzen werden in Zukunft gebraucht?
Zimmermann: Lernende müssen reflektiert mit KI umgehen können: Welche Anwendungen gibt es, und wie lassen sie sich sinnvoll in den Berufsalltag integrieren? Diese Reflexion umfasst mehrere Aspekte: den kritischen Blick auf die Möglichkeiten und Grenzen von KI-Anwendungen, das Verständnis für ihre Auswirkungen auf Arbeitsprozesse sowie die Fähigkeit, ethische und praktische Konsequenzen abzuwägen. In der beruflichen Bildung ist diese mehrdimensionale Auseinandersetzung unverzichtbar, um KI so zu integrieren, dass sie Lernen und Arbeiten gleichermaßen unterstützt.
Barske: Bildungs-Profis brauchen ein fundiertes Verständnis von KI-Bias, um Curricula, Prüfungen und Weiterbildungspläne kritisch prüfen zu können. Nur so lässt sich verhindern, dass unbewusste Verzerrungen aus Trainingsdaten in die Bildungssysteme einsickern und Ungleichheiten verstärken.
Ebenso wichtig ist es, einer anderen Gefahr vorzubeugen: KI darf nicht in eine rein selbstreferenzielle Datenverarbeitung abrutschen, die sich von menschlichen Erfahrungen entkoppelt. Ihre Wissensbasis muss kontinuierlich mit realem Erleben und direkter zwischenmenschlicher Kommunikation angereichert werden – in Momenten, in denen wir zusammenarbeiten, staunen oder voneinander lernen.
Stand heute schöpft KI ihre Antworten ausschließlich aus Daten der Vergangenheit. Damit ist sie noch kein Motor für echte Zukunftsinnovation. Um dieses Potenzial zu heben, braucht sie kontinuierlich neue Impulse aus menschlicher Kreativität, Erfahrung und Forschung. Erst daraus kann etwas entstehen, das über das bereits Bekannte hinausgeht.
Veranstaltungshinweis:
50 Jahre DLR Projektträger: Hybrides Event zu Künstlicher Intelligenz und gesellschaftlicher Verantwortung
Der DLR Projektträger widmet sich in seiner hybriden Event-Reihe dem Thema Künstliche Intelligenz. Fachleute aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft diskutieren unter dem Motto:
„KI gestalten: Technologie trifft gesellschaftliche Verantwortung. Transfer, Bildung, hybride Intelligenz – Grundpfeiler für eine wirksame KI“.
Termin: 24.09.2025, ab 16 Uhr
Hybrid: Bonn + online via Livestream
Seien Sie dabei und verfolgen Sie das Event online im Livestream.
Mehr erfahren: 50 Jahre DLR Projektträger
KI in der beruflichen Bildung: Projekte mit Signalwirkung
Frage: Wo wird KI heute schon erfolgreich in der Berufsbildung eingesetzt?
Zimmermann: Wir beobachten in vielen internationalen Pilotprojekten den Einsatz von KI-Tools – interessanterweise auch in Projekten, die zunächst nicht darauf angelegt waren. Ein Beispiel ist das Projekt „GreenVOCnet“. Das wird als Teil der Europäischen Klimainitiative (EUKI) gefördert. In diesem Projekt arbeitet das Forschungsinstitut für innovative Arbeitsgestaltung und Prävention (FIAP) daran, den Fachkräftemangel für innovative und grüne Technologien zu verringern und Expertise in Europa aufzubauen – gemeinsam mit internationalen Partnern. Das FIAP entwickelt, ausgehend von sogenannten MOOCs (Massive Open Online Courses) Kurse, um Menschen in den Green-Tech-Bereichen Wärmepumpen und grüner Wasserstoff auszubilden. In diesem Projekt geht es darum, die Lerninhalte und Curricula in verschiedene Sprachen und Kulturen zu übersetzen Und es geht darum, einheitliche Kurse für unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen und für unterschiedliche Lerntypen zu entwickeln. Bei all diesen Schritten und Aufgaben werden die Projektbeteiligten von einer KI-Anwendung unterstützt, die parallel zur Projektdurchführung entwickelt wird. Das Projekt zeigt gut, dass typische Herausforderungen in internationalen Projekten, wie zum Beispiel Sprache, aber auch Unterschiede in den Qualifikationsstufen von Bildungsangeboten, mit KI überwunden werden können.
Frage: Was bedeuten solche Projekte, in denen Künstliche Intelligenz in der Konzeption von Aus- und Weiterbildungsprogrammen eine Rolle spielen, für die berufliche Bildung in Deutschland?
Barske: Solche Projektansätze zeigen auf, wie KI eingesetzt werden kann, um Lernen effizienter zu gestalten und zugleich einen hohen Qualitätsanspruch zu verfolgen. Ich glaube zudem, dass hier auch sichtbar wird: die KI-Transformation der Bildung wird die Bildungssysteme sprunghaft internationalisieren. Die arbeitsmarktnahe Berufsbildung war spätesten seit „Industrie 4.0“ kein Handlungsfeld mehr, das wir rein national bearbeiten können. Das funktioniert nur im europäischen Kontext und nur mit einem globalen Maßstab. Denn als Exportnation sind wir international und europäisch aufgestellt. Unsere Wertschöpfungsketten enden nicht an der deutschen Grenze. Deswegen muss unsere Berufsbildung international anschlussfähig sein. Da wir in Deutschland nur wenige Rohstoffe haben, sind Wissen und Kompetenzen unsere wichtigsten Ressourcen. Die KI-Transformation ist ein globales Phänomen, jedes Land, jede Volkswirtschaft und jedes Bildungssystem wird sie für sich zu gestalten haben. Damit stehen wir vor vielen Problemen, Zielen, Fragen und Kooperationsthemen die in der Berufsbildung auf der Ebene der internationalen Kooperation sowie auf der Ebene der nationalen Berufsbildungsreform bearbeitet werden müssen.
„Unsere Wertschöpfungsketten enden nicht an der deutschen Grenze. Deswegen muss unsere Berufsbildung international anschlussfähig sein. Da wir in Deutschland nur wenige Rohstoffe haben, sind Wissen und Kompetenzen unsere wichtigsten Ressourcen.“

Frage: Aber sind denn auch in Deutschland schon KI-Tools in der beruflichen Bildung im Einsatz?
Zimmermann: Es gibt in mehreren Bundesländern Anwendungen, die aktuell in Pilotprojekten erprobt werden. Ein Beispiel ist das Projekt „Green Steel Skills“ in Saarbrücken aus der Initiative „InnoVET“ für den Bereich Maschinenbau, Informatik und Elektrotechnik. In dem Projekt werden KI-Systeme angewendet, um individualisierte Qualifizierungskonzepte zu gestalten. Die KI hilft in diesem Fall dabei, auf die Lernenden individuell zugeschnittene Lernangebote bereit zu stellen.
Berufliche Bildung im europäischen Kontext
Frage: Welche berufsbildungspolitischen Schwerpunkte setzen EU-Parlament und -Kommission derzeit – und welche Rolle spielt dabei die KI-Transformation?
Barske: Ein zentrales Thema ist die von der Europäischen Kommission offiziell ausgerufene „Union of Skills“. Sie geht weit über einzelne Technologiefelder wie Künstliche Intelligenz hinaus und zielt darauf ab, ein europaweit vernetztes Qualifikations- und Weiterbildungssystem zu schaffen. Dieses soll Fachkräfte in allen Branchen mobil machen, Qualifikationen vergleichbar gestalten und lebenslanges Lernen fördern. Europa wird hier als gemeinsame Volkswirtschaft und einheitlicher Arbeitsmarkt gedacht, der gut ausgebildete Fachkräfte braucht – nicht nur im digitalen oder KI-Bereich, sondern in allen relevanten Berufs- und Kompetenzfeldern. Die KI-Transformation spielt dabei eine doppelte Rolle: Einerseits als Treiber für die Modernisierung von Lern- und Arbeitsprozessen, andererseits als Prüfstein dafür, wie wir technologische Innovation mit gesellschaftlicher Verantwortung verbinden. Ein Beispiel ist das Leitprinzip der Generationengerechtigkeit, das die Europäische Kommission in verschiedenen Politikfeldern betont: Politische Entscheidungen sollen so gestaltet werden, dass sie die Interessen jüngerer und künftiger Generationen berücksichtigen. Für die berufliche Bildung heißt das: Jüngere Menschen müssen befähigt werden, mit den Herausforderungen umzugehen, die wir ihnen hinterlassen – vom technologischen Wandel bis zu den Folgen des Klimawandels. Gleichzeitig gilt es, die Erfahrungen älterer Generationen mit früheren Transformationen zu sichern, mit modernen Methoden – auch KI – auszuwerten und für die Zukunft nutzbar zu machen. Auch ihre eigene Weiterqualifizierung muss Teil des Plans sein. KI kann dabei Teil der Lösung sein – und in manchen Fällen auch Teil des Problems. Unsere Aufgabe ist es, sie so zu gestalten, dass sie vor allem zu Lösungen beiträgt.
Wie kann der DLR Projektträger konkret dabei helfen, diese Gestaltungsaufgabe im Kontext der beruflichen Bildung anzugehen?
Zimmermann: Unsere Erfahrung in der Umsetzung von internationalen Bildungsprojekten sowie unsere Netzwerke weltweit und in einzelnen Partnerländern kommen uns hier zugute. Wir haben Know-how, was die berufliche Bildung angeht, aber eben auch in der Zusammenarbeit mit anderen Ländern und Regionen. Und dieses Wissen verbinden wir in unseren Projekten mit unserer Expertise in der administrativen Umsetzung von Projektförderung.
„Wir haben Know-how, was die berufliche Bildung angeht, aber eben auch in der Zusammenarbeit mit anderen Ländern und Regionen. Und dieses Wissen verbinden wir in unseren Projekten mit unserer Expertise in der administrativen Umsetzung von Projektförderung.“

Barske: Wir als DLR Projektträger kombinieren auf einmalige Weise viele verschiedene Kompetenzen miteinander. In der internationalen Kooperation im Bildungskontext sind wir je nach Aufgabenstellung in der Lage, bildungswissenschaftliche, regionalwissenschaftliche und politikwissenschaftliche Grundlangen zu kombinieren und mit ausgeprägter interkultureller Kompetenz, effizienten Instrumenten des Projektmanagements im richtigen Verhältnis zusammenzubringen. Außerdem wird im DLR zu wichtigen Themen Spitzenforschung betrieben wird – etwa zu KI, aber auch zum Einsatz des grünen Wasserstoffs. Als einer der größten Projektträger im Politikfeld Bildung haben wir in den vergangenen Jahrzehnten ein umfassendes und dichtes Netzwerk mir allen relevanten Akteuren entwickelt. Im Kontext der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit ist das bereits ein breites Spektrum, denn Berufsbildung findet immer in Aushandlung zwischen Akteuren aus Staat und Wirtschaft statt. Das sind die Unternehmen, die selbst ausbilden und deren Organisationen wie Kammern sowie – nicht zuletzt! – die Gewerkschaften als Sozialpartner. Zudem stützen wir unsere Arbeit auf ein inter- und transdisziplinäres Netzwerk mit Forschenden an Hochschulen und weiteren Organisationen. In dieser Position bringen wir Innovationen in der beruflichen Bildung voran – national, in Europa und in der internationalen Kooperation.
Vielen Dank für das Gespräch!